Kennen Sie den Begriff ESG? Wie wichtig ist Ihnen Nachhaltigkeit in Ihrem Portfolio und wie steht es um die Rendite? Glauben Sie, dass nachhaltige Geldanlagen etwas Gutes bewirken können?
Diese und weitere Fragen habe ich zehn ausgewählten Stiftungen im Rahmen meiner Masterarbeit-Umfrage Anfang des Jahres gestellt. Zielsetzung der Thesis war es herauszuarbeiten, welche Motivation und Einstellung Stiftungen gegenüber ESG-Investments haben. Lesen Sie selbst!
Im Brundtland-Bericht der United Nations (1987) heißt es wörtlich: „Eine nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart ohne Beeinträchtigung der Bedürfnisse künftiger Generationen erfüllt.“ Auch in Bezug auf Kapitalanlagen assoziieren Umfrageteilnehmer Nachhaltigkeit im Falle von Aktien und Unternehmensanleihen mit dem langfristigen Bestehen oder fürsorglichem unternehmerischen Handeln. Unter dem Begriff „nachhaltige Kapitalanlage“ (auch nachhaltige Geldanlage, nachhaltiges Investment) versteht man allgemein eine Anlagemöglichkeit, die neben ökonomischen Kriterien auch ökologische, soziale und kulturelle Gesichtspunkte einbezieht und zu einer zukunftsfähigen Entwicklung beiträgt.
Der Begriff „ESG“ tauchte erstmals 2005 auf und wurde in den darauffolgenden Jahren zu einer Art Buzzword der Finanzszene. Das Akronym ESG steht für Environment, Social, Governance (Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung) und beschreibt die drei nachhaltigkeitsbezogenen Verantwortungsbereiche von Unternehmen. Obwohl Studienteilnehmer ihren eigenen Kenntnisstand über nachhaltige Geldanlagen mittel bis hoch einschätzen, scheinen Begriffsabgrenzungen nachhaltiger Kapitalanlagen unscharf. Besonders Umweltaspekte dominieren in der Wahrnehmung. Auch die unterliegenden Ratingmethoden, die anstreben, nachhaltige Kapitalanlagen durch kennzahlengestützte Analysen vergleichbar zu machen, sind vielen Anlegern suspekt. Informationsasymmetrien verschiedener Anbieter stellen ein weiteres Hindernis dar. Ebenso wirkt vertrauenswürdige professionelle Aufklärung der Befürchtung entgegen, dass Nachhaltigkeit nur als Etikett zu Marketingzwecken missbraucht wird.
Nichtsdestotrotz sei ESG ein „Schritt in die richtige Richtung“ und der „Weg entstünde beim Gehen“.
Das obere Ziel einer Stiftung sei, sich vollständig nachhaltig zu bewegen. Wichtig in jedem Fall sei, dass Stiftungen auch in ihren Anlagen nicht gegen Ziele und Kernüberzeugungen arbeiten, so ein Teilnehmer. Mehr als die Hälfte der Stiftungen besitzt schriftlich fixierte Anlagerichtlinien. In 50 Prozent davon sind Nachhaltigkeitskriterien enthalten. Einen regelmäßigen Turnus zur Überprüfung der Richtlinien (mind. einmal p.a.) gebe es laut Aussagen der meisten Teilnehmer nicht. Die Überprüfung finde intuitiv nach Bedarf statt. Sind Nachhaltigkeitskriterien in den Anlagerichtlinien enthalten, sind sie in den meisten Fällen (bewusst) breit gefasst. Nahezu alle Teilnehmer betonen jedoch, dass Nachhaltigkeitskriterien in der Praxis von Anlageentscheidungen miteinbezogen werden und sich die Stiftungen in persönlicher Verantwortung sehen, nachhaltig zu investieren.
Ferner wurde angeführt, dass nachhaltige Investitionen Inbegriff des Stiftungszwecks seien bzw. der Stiftungszweck nicht nachhaltige Investitionen vorab ausschließe. In einigen Fällen werde versucht, ein möglichst hohes ESG-Rating zu erzielen, obwohl der Begriff ESG nicht in den Anlagerichtlinien niedergeschrieben sei. Ein Grund hierfür sei, dass restriktive Anlagerichtlinien die Auswahl an Anlagemöglichkeiten stark eingrenzen. Ebenfalls genannt wurde, dass die Zukunft nachhaltiger Kapitalanlagen ungewiss sei, weshalb die Verankerung in den Anlagerichtlinien abgelehnt werde. Mehrfach genannt wurde zudem, dass eine dedizierte Auseinandersetzung mit nachhaltigkeitsbezogenen Aspekten in den Anlagerichtlinien bisher zeitlich nicht möglich oder zu komplex gewesen sei. Auch aus diesem Grund erwähnen mehrere Teilnehmer, dass sie die vermögensverwaltende Bank in zentraler Verantwortung bei der Erfüllung nachhaltiger Investitionen sehen.
Die Mehrheit der Teilnehmer bevorzugt bei der Auswahl nachhaltiger Kapitalanlagen eine Ausschlussstrategie, oft in Verbindung mit minimaler Anzahl an Anlagen mit niedrigen ESG-Scores. Anlagen mit hohen ESG-Score seien wünschenswert, müssten jedoch im Einklang mit Rendite und Risiko stehen. Durch Negativformulierungen solle dem Management möglichst viel Flexibilität bei den Anlageentscheidungen gewährt werden. Für mehrere Teilnehmer bildet der Ausschluss die Grundlage für nachhaltige Anlagen. Welche Geschäftsbereiche vorab auszuschließen seien, müsse jedoch stiftungsindividuell beschlossen werden und werfe viele Fragen auf. Als Beispiel führten zwei Teilnehmer Investitionen in Unternehmen an, die alkoholische Getränke herstellen: Wein habe aus christlicher Sicht eine konstitutive Bedeutung. Viele Bibelstellen untermalen dies, wie etwa die Hochzeit zu Kana, bei der Jesus als Gast einer Hochzeit Wasser in Wein umwandelt (Joh 20,30–31) oder Wein und Brot als Symbol für Christi Blut und Leib.
Teilnehmer bewerten die Bedeutung von Rendite und Nachhaltigkeit durchschnittlich in etwa gleich. Stiftungsexperten, die der Meinung sind, dass nachhaltige Kapitalanlagen einen positiven Einfluss auf die Rendite haben, stützen ihre These vor allem auf die Beständigkeit und gewissenhafte Geschäftsführung der Unternehmen. Langfristig würden nachhaltige Kapitalanlagen „auf jeden Fall stabiler und besser dastehen“, so ein Teilnehmer. Das passe gut zu Stiftungen, denn diese verfolgen in der Regel einen mittel- bis langfristigen Anlagehorizont von über fünf Jahren. Einige Experten begründen ihre Meinung durch Umkehrschlüsse: Unternehmen, die eine reine Renditestrategie verfolgen, treffen häufiger riskante Geschäftsentscheidungen. Nachhaltige Kapitalanlagen erscheinen folglich sicherer. Zudem werde erwartet, dass Unternehmen, die Nachhaltigkeitskriterien ignorieren, vermehrt Sanktionen oder Reputationsschäden erwarten, welche wiederum einen negativen Einfluss auf Aktienkurs und Rendite haben. Die steigende Nachfrage an nachhaltigen Produkten auf der anderen Seite sorge für steigende Erträge und positive Renditeeffekte. Die wachsende Nachfrage an nachhaltigen Kapitalanlagen verstärke diesen Effekt. Teilnehmer gegenteiliger Meinung glauben, dass die Geschäftsmodelle vieler nachhaltiger Unternehmen noch nicht ausgereift seien. Ebenso können nachhaltig hergestellte Produkte oft nicht im Preiskampf mithalten und viele Verbraucher seien noch nicht bereit, die höheren Preise zu zahlen.
Die Mehrheit der Teilnehmer gab an, dass sie eingeschränkt auf Rendite für ein nachhaltig(er)es Portfolio verzichten würden. Voraussetzung sei jedoch, dass der geminderte Ertrag tolerierbar und aus dem Stiftungskapital finanzierte Aktivitäten sichergestellt sind. Investitionen, die gegen ethische Prinzipien der Stiftung verstoßen, seien nicht zu dulden. Ziel sei es, eine optimale Rendite unter der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien zu erwirtschaften. Bei gleichwertiger Rendite sei immer die nachhaltig(er)e Anlage zu bevorzugen. Die Frage, ob für einen höheren ESG-Score ein größerer Renditeabschlag in Kauf genommen würde, verneinen viele Teilnehmer. Die Rendite sei wesentlicher Bestandteil für die Erhaltung des Stiftungskapitals und damit übergeordnetes Ziel. Stiftungen brauchen Geldmittel, um gute Zwecke zu verfolgen, wie etwa die Unterhaltung eines Krankenhauses oder die Vergabe von Stipendien. Rendite müssen aus diesem Grund optimiert werden und das müsse auch unter der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien zu bewerkstelligen sein.
Mehr Details und Hintergründe sowie Infografiken zur Teilnehmerumfrage unter Stiftungen finden Sie hier:
►DOWNLOAD Motive für ESG-Anlagestrategien bei der Verwaltung von Stiftungsvermögen
Bitte beachten Sie, dass für die Umfrage ein qualitativer Ansatz gewählt wurde. Infografiken und zahlengestützte Auswertungen dienen daher lediglich der besseren Einschätzung über den Standpunkt der Teilnehmer, besitzen aber keine allgemeingültige Aussagekraft. Zudem wurde im Rahmen der Masterarbeit das beschriebene und tatsächliche Investitionsverhalten verglichen. Der ESG-Score hat insofern keine Aussagekraft darüber, ob ein Titel gemäß einer bestimmten ESG-Strategie investierbar ist. Je nach unterliegender Strategie können Filter und Kriterien variabel gemischt werden. Darüber hinaus müssen einzelne Scoring und stichtagsbezogene Betrachtungen kritisch behandelt werden und sollen in dieser Arbeit lediglich illustrieren, inwiefern Aussagen der Experten mit tatsächlichem Investitionsverhalten korrelieren.
Maria Tabea Maas
Digitale Innovations- und Produktmanagerin
DZ PRIVATBANK
Luxemburg
E-Mail: MariaTabea.Maas@dz-privatbank.com
Maria T. Maas studierte von 2019 bis 2021 Leadership an der Frankfurt University of Applied Sciences. Durch ihr Interesse und ihrem Schwerpunkt in Finanzmanagement sowie die Tätigkeit als Werkstudentin bei der DZ PRIVATBANK hat sie sich in ihrer Masterarbeit einem praxisorientierten Thema mit Relevanz für eine der Hauptzielgruppen des Finanzinstitutes gewidmet, welches zudem auch einen aktuellen Trend für die Finanzbranche insgesamt widerspiegelt. Die Arbeit wurde fachlich durch Hans-Dieter Meisberger, Leiter des Bereichs Stiftungen, Öffentliche Einrichtungen und NPOs im Privat Wealth Management der DZ PRIVATBANK S.A., betreut. Neben einem theoretischen Teil, bei dem umfangreiche Quellen ausgewertet wurden, hat Maria T. Maas im Praxisteil eine Umfrage mit zehn Stiftungen aus dem bundesweiten Kundenportfolio des Bankhauses durchgeführt. Es handelt sich dabei um ein breites Spektrum an involvierten Stiftungen mit karitativer und sozialer Ausprägung.
Seit dem 1. August 2021 setzt Maria T. Maas ihr Engagement bei der DZ PRIVATBANK jetzt als Digitale Innovations- und Produktmanagerin hauptberuflich fort.
Sie möchten sich erkundigen, wie Sie Ihr Vermögen unter der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten optimieren können oder haben Fragen zum Thema nachhaltige Geldanlagen? Wir beantworten sie Ihnen gerne!