Die Stiftungsrechtsreform ist nunmehr knapp 1 ½ Jahre in Kraft. Zeit genug, um über die ersten Erfahrungen mit dem neuen Recht zu berichten.
Eine der wesentlichen „Neuerungen“ der Stiftungsrechtsreform ist die Kodifizierung der Business Judgment Rule im Stiftungsrecht, die eingeführt wurde, um die Haftungsgefahr für Mitglieder von Organen zu reduzieren.
Nach § 84a Abs. 2 Satz 2 BGB handeln Mitglieder von Stiftungsorganen nicht pflichtwidrig, wenn sie bei Geschäftsführungsentscheidungen, die Prognosecharakter haben (also bspw. Entscheidungen über die Anlage von Vermögen, die Mittelverwendung oder andere organisatorische Fragen) unter Beachtung der gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben vernünftigerweise annehmen durften, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Stiftung zu handeln.
Die Entscheidungsfindung auf Basis hinreichender Informationen ist die wichtigste Voraussetzung des Haftungsprivilegs bei unternehmerischen Entscheidungen. Dabei sind alle Handlungsalternativen zu eruieren und zu prüfen. Die Organmitglieder müssen grundsätzlich in der jeweiligen Situation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpfen und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile abwägen. Entsprechend ist im Zweifel fachmännischer Rat einzuholen, was in der Stiftungsszene spätestens seit der Entscheidung des OLG Oldenburg vom 08.11.2023 (Az. 6 U 50/13) bekannt sein sollte.
Konnte man in der Vergangenheit vielleicht noch infrage stellen, ob das Dokumentieren der Entscheidungsprozesse immer hilfreich ist, weil man damit ggf. auch zugleich seine Fehler dokumentiert, frei nach dem Motto Schrift ist Gift, ist mit Einführung der Business Judgment Rule klar, nur wer schreibt der bleibt. Denn nur wer die Beachtung der Business Judgment Rule im Entscheidungsprozess und insbesondere die Informationsbeschaffung beweisen kann, kommt in den Genuss des Haftungsprivilegs.
Rechtsdogmatisch ist der Gesetzgeber mit der Einführung der Business Judgment Rule einen durchaus interessanten Weg gegangen, denn es entfällt bereits die Pflichtwidrigkeit, wenn die Business Judgment Rule beachtet wurde. Bevor diese Kodifizierung erfolgte, fand die Business Judgment Rule gleichwohl in Gerichtsverfahren, in denen es um die Haftung von Mitgliedern von Stiftungsorganen ging, Anwendung, jedoch erst bei der Frage, ob das Organmitglied schuldhaft gehandelt hat.
Insofern ist die Welt für Mitglieder von Stiftungsorganen auf den ersten Blick deutlich leichter geworden. Aber die Organmitglieder, die bereits in der Vergangenheit alles richtig gemacht haben, haben bereits nach altem Recht nicht gehaftet. Insofern hat sich die Welt genau genommen nicht verändert. Für diejenigen, die es mit der Dokumentation und / oder der Informationsbeschaffung nicht ganz so genau genommen haben und weiterhin nehmen – sei es aus mangelnder Kenntnis oder aufgrund mangelnder Kapazitäten – dürfte die Einführung der Business Judgment Rule sogar eine Verschärfung der Haftungsgefahren bedeuten.
Mit der Einführung des § 84a Abs. 2 BGB stellt sich nämlich die Frage, ob das Ignorieren der Business Judgment Rule bei ehrenamtlichen Vorständen nicht sogar dazu führt, dass sie das für sie geltende weitere Haftungsprivileg, nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu haften (vgl. §§ 84a Abs. 3 in Verbindung mit § 31a BGB), verlieren, denn man darf wohl zu Recht die Frage stellen, ob das Ignorieren der Business Judgment Rule nicht bereits ein Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt in besonders hohem Maße darstellt und damit grob fahrlässig ist. Bedenkt man weiter, dass insbesondere ehrenamtliche Tätigkeiten gerade bei weniger vermögenden Stiftungen üblich ist, stellt sich die Frage, ob die Business Judgment Rule für ehrenamtliche Organmitglieder nicht eher Steine statt Brot ist. Gerade bei weniger vermögenden Stiftungen wird das Budget für die mehr oder weniger zwingende Einholung von fachmännischen Rat oft nicht oder zumindest nicht ausreichend vorhanden sein. Gönnt man sich bei kleinen Stiftungen gleichwohl den erforderlichen fachmännischen Rat, hat man möglicherweise mit den Aufsichtsbehörden eine durchaus ebenfalls haftungsträchtige Diskussion über die Verwaltungskostenquote zu führen. Auch vor diesem Hintergrund ist man gut beraten, die Entscheidung für die Einholung fachmännischen Rats gut zu dokumentieren.
Ob kleine oder große Stiftung: Es empfiehlt sich in jedem Fall die Compliance-Strukturen zu prüfen und ggf. nachzuschärfen. Das beginnt bei der Satzung als Ausgangspunkt aller Compliance-Strukturen. Hilfreich in diesem Zusammenhang sind aber auch Anlagerichtlinien, Förderrichtlinien, und/oder Geschäftsordnungen für die Organe, die, einmal richtig aufgesetzt, die Informations- und Dokumentationspflichten bei Einzelentscheidungen deutlich erleichtern können.
Insofern lautet das Fazit zur Einführung der Business Judgment Rule für Stiftungen: Es handelt sich um eine wohlgemeinte Reglung, die aber ihre Tücken in der alltäglichen Arbeit haben kann. Mit ihr steigt der Druck auf die Organmitglieder (zum Wohle der Stiftungen als Gläubiger etwaiger Haftungsansprüche).
Dr. Gerrit Ponath
Rechtsanwalt – Fachanwalt für Erbrecht – Fachanwalt für Steuerrecht – Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)
ADVANT Beiten – Beiten Burkhardt Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
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